„Es ist alles Herausgekommen“
Niklas, Tim, Tobias und Julian lebten in einer mittelgroßen Stadt in Deutschland. Gepflegtes Stadtzentrum, biedere Wohnsiedlungen am Stadtrand und ein Industriegebiet im Norden – alles ging seinen Gang. Oft trafen sich die Dreizehnjährigen nachmittags zum Fußballspielen, Fahrradfahren oder einfach zum Abhängen und sich die neuesten YouTube Videos vorzuspielen. Sie waren froh über ihre Freundschaft, fanden das Leben in der Stadt meistens aber nicht besonders spannend.
Eines Tages lungerten sie in ihrem Lieblingstreffpunkt herum: einem alten Bauwagen unter der Eisenbahnbrücke. Ihnen war langweilig, und sie wussten nichts Rechtes mit sich anzufangen. Nach einigem Hin und Her meinte Julian: Wie wäre es, einigen Lehrern, stadtbekannten Persönlichkeiten und nervigen Nachbarn einen anonymen Brief zu schicken und ihnen einen kleinen Schrecken einzujagen? Niklas, von Natur aus schreibfaul, meinte lakonisch: „Wir brauchen gar keinen ganzen Brief. Lass uns einfach schreiben »Es ist alles herausgekommen!«“ – Von den Eltern hatten die Jungs das Gerücht gehört, der Bürgermeister betrüge seine Frau mit der Tennistrainerin im Ort. Mit einer solchen Nachricht würde man ihm bestimmt einen ordentlichen Schrecken einjagen.
Gesagt, getan. Die Jungs besorgten sich Zettel und Stifte, und schrieben 50 Mal den Satz darauf „Es ist alles herausgekommen“. Danach verteilten sie sie in einer Nacht-und-Nebel-Aktion in den Briefkästen in der ganzen Stadt – neben weiteren bekannten Persönlichkeiten auch bei Bürgermeister Meyer. Sie gelobten sich gegenseitig Verschwiegenheit und beschlossen, das Geschehen in der Stadt genau zu beobachten.
Ein paar Tage später dann der Schock: Auf der Titelseite der Tageszeitung prangte die Schlagzeile: „Meyer tot in seiner Wohnung aufgefunden – Selbstmord nach jahrelanger Zweitbeziehung“
Den Jungs fuhr das Entsetzen in die Knochen. War ihr Zettel Auslöser für diese Kurzschlussreaktion gewesen? Hatte die Polizei die Botschaft entdeckt? Im Bauanhänger beschlossen sie, erst einmal abzuwarten, was bei der Untersuchung heraus kam. Ihre Eltern wollten sie nicht einweihen, denn sie hatten sich ja unbedingtes Stillschweigen versprochen.
Ein paar Tage lang blieb es ruhig, und die Jungs atmeten etwas auf. Der Tod des Bürgermeisters trieb sie immer noch um, aber sie beruhigten sich damit, dass sicher etwas ganz anderes der Auslöser gewesen war. Tim meinte: „Vielleicht hat seine Frau ihn ja erwischt, oder seine Geliebte hat ihn verlassen.“
Dann geschah es, dass Herr Walter – ebenfalls ein Empfänger des ominösen Zettels – eines Morgens zur Arbeit ging und nicht mehr wieder kam. Seine Frau gab eine Suchanzeige auf, aber die Polizei wurde zunächst nicht fündig. Ein paar Wochen später hieß es, er habe die Stadt verlassen und wollte mit seinem Leben hier nichts mehr zu tun haben. Kurze Zeit darauf machte die Neuigkeit die Runde, dass Herr Walter nun in Köln arbeitete und mit einem Mann zusammenlebte.
Niklas, Tim, Tobias und Julian merkten, was ihre Zettel angerichtet hatten. Sie hätten sich nie träumen lassen, dass der Effekt einer einfachen Botschaft solch eine verheerende Wirkung entfalten könnte. Sie hatten ja nichts wirklich Schlimmes anrichten wollen. Trotzdem fühlten sie sich schuldig und wussten nicht, wie sie damit umgehen sollten.
So trafen sie sich nur noch sporadisch, weil jeder den anderen an diese Geschichte erinnerte. Niklas geriet in eine Clique von Straßenkids, die regelmäßig die Schule schwänzten und Alkohol tranken. Tim konzentrierte sich auf sein Hobby, Fußballspielen, und trat einer Mannschaft bei. Jeden Tag trainierte er in der Hoffnung, Profifußballer werden zu können. Tobias hing meistens allein zu Hause vor dem Laptop ab.
Julian wurde so still und traurig, dass seine Eltern sich ernsthaft Sorgen machten. Eines Tages reichte es ihm. Er wollte nicht mehr mit diesem Wissen alleine leben. Die Geschichte mit dem Bürgermeister drückte ihn immer noch nieder, obwohl seit dem Vorfall über ein Jahr vergangen war.
Eines Abends nahm er seinen ganzen Mut zusammen und sprach seine Eltern an: „Mama, Papa, ich muss euch was sagen…“
Das Scheitern auf dem Sonnendach
Die Menschen der Bibel sind keine Heiligen. Sie streiten, kämpfen, versagen und laden Schuld auf sich – viel mehr noch als in der Erzählung von den vier Freunden.
David war König von Israel und lebte um 1000 vor Christus. König zu sein bedeutete damals nicht nur, weltliche und militärische Verantwortung für das Volk Israel zu tragen. Es beinhaltete auch eine geistliche Führerschaft: Der König war neben den Priestern eine Art Mittler zwischen Gott und dem Volk, er bat Gott um Rat, empfing Weisung von ihm und sorgte dafür, dass das Volk Gottesdienste und religiöse Feste feiern konnte. Kam der König vom rechten Weg ab, hatte das unmittelbare Auswirkungen für sein Volk.
König David war ein Mann, der voll im Leben stand: militärisch erfolgreich, gutaussehend, beliebt und überaus musikalisch: die meisten der Psalmen in der Bibel sind Lieder von ihm, die er mit Harfenbegleitung sang. Darüber hinaus war er bescheiden, hatte das Herz „auf dem rechten Fleck“ und pflegte eine enge Beziehung zu Gott. Es war ihm wichtig, Gottes Gebote einzuhalten.
Sein großes Scheitern begann auf einem Sonnendach des Königspalasts: Ähnlich wie die vier Teenager in ihrem Bauanhänger „hing er dort ab“ und ließ seinen Blick von einem schattigen Plätzchen aus über die Landschaft schweifen. Unvermittelt hielt er inne, als er durch das Fenster des Nachbarhauses eine nackte Frau entdeckte. Sie stieg in ein Bad und begann eine rituelle Reinigung, wie sie für jüdische Frauen damals üblich war. Während die Frau sich unbeobachtet wähnte, konnte David den Blick nicht von ihr lassen. Ein unbändiges Verlangen packte ihn, er musste sie haben! – Ihr Name war Batseba, das erfuhr er Tags darauf.
Das Problem: Sie war bereits verheiratet mit einem seiner Heerführer namens Urijah. Doch David ließ sich dadurch nicht beirren – schließlich war er König!
Als Urijah im Kriegseinsatz war, befahl er sie zu sich und schlief mit ihr – sie hatte als Frau damals keine Möglichkeiten, sich zu widersetzen und wurde natürlich schwanger. Als David davon erfuhr, rief er Urijah von der Front zurück und gab ihm Heimaturlaub in der Hoffnung, dass er mit Batseba schlafen und damit seine eigene Vaterschaft überdecken würde. Das gelang aber nicht.
Also griff David zu „Plan B“: Er schickte Urijah ganz nach vorn ins Schlachtfeld, wo der Tod ihm sicher war. So starb Urijah im Kampf, und David konnte Batseba legal zur Frau nehmen. Damals hatten die Könige mehrere Frauen, und Batseba vergrößerte somit nur Davids ohnehin großen Harem.
Doch damit kam er nicht durch. Ein Prophet, Nathan, stellte ihn zur Rede und kündigte ihm Gottes Urteil an – nach dem Alten Testament stand dafür die Todesstrafe. David fiel es wie Schuppen von den Augen, und er bereute aus tiefstem Herzen, was er Urijah und Batseba angetan hatte.
Gott zeigte sich daraufhin gnädig, ließ die Strafe aber nicht ganz unter den Tisch fallen: Davids und Batsebas im Ehebruch gezeugtes Kind musste sterben. Es wurde sehr krank, was David in eine tiefe Depression fallen ließ, die erst mit dem Tod des Kindes endete. Zu lesen ist diese Geschichte im Alten Testament im 2. Buch Samuel, Kapitel 11-12.
Die klebrige Schuld
Unser Leben hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Nicht nur, was technische und gesellschaftliche Entwicklungen und Trends anbelangt, sondern auch die politische Situation und unser Sicherheitsempfinden. Fanden Krieg, politisch und religiös motivierte Anschläge früher weit weg in fernen Ländern statt, so ist Gewalt, Tod und Unsicherheit inzwischen beängstigend nahe gerückt. Anschläge und Attentate in unseren eigenen Städten und Dörfern kosten Menschenleben, traumatisieren ganze Gesellschaften und verändern unsere tatsächliche und persönliche Sicherheit.
Neben Schock und Trauer macht sich auch oft Wut breit: „Dem muss man in aller Konsequenz begegnen!“ „Die Täter sollen mit der ganzen Härte des Gesetzes bestraft werden!“ „Wenn der meinem Kind was antut und ich den in die Finger kriege, dann….“ Wir schauen auf die Menschen, die diese grausamen Taten angerichtet haben und wollen Gerechtigkeit: Strafe, einsperren, am besten sollen die selber hängen und das erleiden, was sie anderen angetan haben. Diese Gefühle sind verständlich, und es ist furchtbar, was einzelne Menschen anderen (unbeteiligten) Personen antun.
Liest man die Geschichte vom König David, so ist offensichtlich, dass auch er großes Unrecht anrichtet: Erst begeht er einen Ehebruch in Tateinheit mit sexueller Nötigung, dann die versuchte Verdeckung einer Straftat. Zum Schluss macht er sich der Anstiftung zum Mord schuldig – er schickt Urijah vorsätzlich in den Tod. Trotz dieser Ungeheuerlichkeit: Vor dem Gesetz konnte man ihn nicht belangen – schließlich hatte er als König das Recht, seine Offiziere hinzuschicken wo er wollte. Trotzdem bekannte er sich nach der Konfrontation durch Nathan schuldig.
Ebenso die 4 Freunde Niklas, Tim, Tobias und Julian. Rein rechtlich hatten sie nichts zu befürchten. Weder für die Seitenbeziehung des Bürgermeisters noch für seinen Selbstmord konnten sie etwas. Sie waren nur der Auslöser. Trotzdem fühlen sie, dass sie sich schuldig gemacht hatten. Sie hatten etwas von dessen privater Situation geahnt und mit voller Absicht auf den Abzug gedrückt. Peng! – „Es ist alles herausgekommen!“
Man mag einwenden: Sie handelten in jugendlicher Naivität und konnten die Folgen ihres Handelns nicht abschätzen. Man sollte ihnen nach diesem Trauma vielleicht Hilfe anbieten und ihre Schuldgefühle nicht noch bestärken. Sicher: Es ist richtig, den Jungen zu helfen, offen mit der Sache umzugehen, sie zu trösten und ihnen zu einem Neuanfang zu verhelfen. Trotzdem lassen sich die Konsequenzen ihres Handelns nicht wegwischen, sie selbst fühlen ihren Schuldanteil deutlich.
Wie sieht Gott das? Die Bibel beschreibt Ihn als „Liebe in Person“, aber auch als heilig und gerecht. Einerseits liebt er die Menschen als seine Geschöpfe, andererseits hasst er alles Böse und das, was wir Menschen uns gegenseitig antun. In der Bibel steht dazu ein fremdartig anmutender Vers: „Richte der Gemeinde der Israeliten aus, was ich von ihnen verlange: Ich, der Herr, euer Gott, bin heilig; darum sollt auch Ihr heilig sein!“ [3. Mose 19,2ff].
Gott hat ein anderes Empfinden von Gerechtigkeit als wir. Sein Maßstab ist Heiligkeit, das heißt fortwährend in Reinheit und Güte zu leben. Man muss kein Attentäter, Mörder oder Vergewaltiger sein, um an diesem Maßstab zu scheitern. Es reicht schon ein verächtlicher Blick, eine kleine Verleumdung oder Gleichgültigkeit im Angesicht von Not und Leid. An anderer Stelle heißt es: „…denn alle haben gesündigt, und in ihrem Leben kommt Gottes Herrlichkeit nicht mehr zum Ausdruck“ [Röm 3, 23ff].
Wer kann das schon? Ich nicht! – Wir scheitern ALLE an diesem Anspruch Gottes!
Wie kann das sein? Das klingt ja verrückt, wenn Gott alle Menschen „durchfallen“ ließe! Manche Menschen versuchen, diesen Konflikt aufzulösen, indem sie Gottes Anspruch relativieren: Er kann das nicht so gemeint haben! Das kann man nicht so eng sehen! Da ist die Bibel bestimmt falsch übersetzt – das macht doch keinen Sinn! – Aber wenn Du ehrlich bist, kennst auch Du diese Situationen, in denen man sich schuldig fühlt und es keine wirkliche Lösung dafür gibt.
Für Gott sind unsere „harmlosen“ Vergehen in unserem Leben wie ein Omelett, das bereits durch ein faules Ei verdorben und nicht mehr genießbar ist. Folglich ist unser Leben für Gott durch nur eine Sünde nicht mehr genießbar. Er kann danach keine Gemeinschaft mit uns haben und uns nach unserem Tod auch nicht zu sich lassen, weil Heiligkeit sich nicht mit Sünde verträgt. Kämen wir in den Himmel, so wie wir sind, sähe es bald genauso aus wie auf der Erde: Voller Krieg, Not und Ungerechtigkeit. Die Bibel drückt es so aus: “Eure Sünden scheiden Euch von Eurem Gott“ [Jes 59, 2ff].
Auch wenn wir auf der „Verbrechensskala“ nicht so „schlimm“ sind wie bösartig handelnde Verbrecher, so sitzen wir letztendlich mit ihnen im gleichen Boot, da wir schuldig sind, auch wenn es „harmlosere“ Sünden sind: Ehebruch, Steuerhinterziehung, mal ein bisschen Büromaterial nach Hause nehmen, den Ehepartner anschreien, meine Kinder zu hart bestrafen usw. Und es gibt noch viel mehr Schuld, unter der viele Menschen leiden, und die sie nicht los lässt: manche haben betrunken ein Kind totgefahren oder einen Kollegen bis in die Depression gemobbt…
Was passiert mit unserer Schuld? Sie klebt regelrecht an uns und lässt sich auch nicht mit Therapien – so sinnvoll die auch sind – wegwischen. Gott, der in sich konsistent ist, kann die Konsequenz oder Strafe nicht einfach unter den Tisch fallen lassen, denn es ist schon im irdischen Leben so, dass Vergehen eine Strafe nach sich ziehen: vom Falschparken bis zum Mord (und für Mörder fordern wir ja lauthals härtere Strafen!)
David wusste nur zu genau, dass er Gott nichts vormachen konnte. Alle Vorwände nach dem Motto: „Die Entscheidung hatte einen militärisch-taktischen Hintergrund!“ hätten vor Gott keinen Bestand gehabt. Deshalb bekannte er sich schuldig. Doch trotz seiner Einsicht und Reue bestrafte Gott ihn, indem er das im Ehebruch gezeugte Kind kurz nach seiner Geburt erkranken und sterben ließ. Die Tat ungesühnt zu lassen, hieße, eine Ungerechtigkeit auf sich beruhen zu lassen. Das kann ein Gott, der heilig und gerecht ist, nicht akzeptieren.
Die schlechte Nachricht ist, dass wir keine Chance haben, aus eigener Kraft gut genug zu sein, um Gottes Maßstab zu erfüllen. Es ist einfach nicht möglich – noch nicht einmal für die besten und bewundernswertesten Menschen, die sich für andere aufopfern.
Die gute Nachricht ist, dass Gott uns so sehr liebt und nicht will, dass wir von Ihm getrennt sind. Er möchte Gemeinschaft mit uns haben und uns von unserer Schuld befreien. Deshalb ist die Strafe auch nicht das Ende der Geschichte…
[Anschaulich wird das Dilemma mit der Sünde in dem Film „6000 Punkte für den Himmel“]